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Kreuznachtillon

Stadthistorie

STADTRAT DEBATTIERT ÜBER STADTHISTORIKER

Wer nicht weiß, was der Kreuznacher „Worschtkessel“ ist oder war, wird es nie erfahren – es sei denn, er kennt Steffen Kaul. Der hat den Worschtkessel nicht nur aktuell auf Fotos, sondern auch wie er 1970 aussah und 1920 und 1840 und 1492. Die Kaul’sche Fotosammlung ist legendär, Historiker weltweit sind sich darum einig: Hätte Kolumbus die neue Welt statt in San Salvador in Kreuznach betreten, gäbe es ein Foto davon bei Steffen Kaul.

Gerade erst hat er den zweiten Band seiner Reihe „Kreuznacher Zeitensprünge“ veröffentlicht und eindrucksvoll den Wandel Kreuznachs dokumentiert. Jedoch: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Was die internationale Forschergemeinde verzückt, führt in der Stadtverwaltung zu blankem Entsetzen. „Offiziell gilt die Neustadtsanierung in den 70er Jahren als Fortschritt. Es ist unverantwortlich, wie Kaul dokumentiert, was damals an wertvoller Bausubstanz zerstört wurde“, kritisiert ein Mitarbeiter des Bauamts. Auch von anderen Verwaltungsstellen gibt es Kritik: „Der Parkplatz zwischen Casinogebäude und VfL-Halle ist doch so schön geworden“, tönt es aus dem Verkehrsamt. „Wir können das Gejammer über den Abriss des Burghauses Brandenburg nicht mehr hören.“ Das Denkmalschutzamt fühlt sich ebenfalls zu Unrecht kritisiert: „Der Kuppelaufsatz am Kureck war nur etwas für Nostalgiker. So ein schmucker Betonklotz eignet sich viel besser als Eingang zum Kurgebiet.“

Tatsächlich gibt es Viele in der Stadt, die sich als Visionäre sehen, weil sie historische Gebäude wie zuletzt das Diebold-Haus abreißen und durch 08/15-Bauten ersetzen. Pech nur, dass Steffen Kaul dies unentwegt dokumentiert. Als Konsequenz aus der Kaul‘schen Bloßstellung gibt es in der Verwaltung nun Bestrebungen, dem unerbittlichen Chronisten die geschuldete Anerkennung zu versagen. Gestern beriet der Stadtrat darüber. „Der bekommt unseren Kulturförderpreis nie“, tönte es überheblich aus einzelnen Winkeln des Gremiums, dessen Entscheidungen über die Preisvergabe schon häufiger schwer nachvollziehbar waren. Noch überwiegt aber die Zahl der Fürsprecher im Rat, die ihre Sympathien für Kauls Werke in der Sitzung offen bekannten: „Viele, viele Bilder und wenig Text – endlich mal Bücher, die wir verstehen.“