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Kreuznachtillon

Skelettfund

SKELETTFUND IM NEUEN JUSTIZGEBÄUDE

Während die Stadt noch darüber grübelt, ob die Falschmeldung über Skelettfunde auf dem Kornmarkt lustig war oder nicht, macht schon der nächste Skelettfund die Runde. Schauplatz ist diesmal der neue Justizpalast. Dort fiel dieser Tage ein Stück Decke aus einem Sitzungssaal herab. »Verletzt wurde niemand«, vermeldet der Bauherr, was nicht verwundert, denn was unter der Decke zum Vorschein kam, war schon tot. Gefunden wurden zwar nicht Skelette, aber Leichen, und zwar Aktenleichen, also dicke Papierstapel, um die sich einfach keiner mehr kümmern will.

Anwälte in der Stadt stehen bereits Schlange, um herauszufinden, ob vielleicht ein Fall, auf dessen Entscheidung sie seit Jahren und Jahrzehnten warten, dabei ist. Insbesondere Kostenfestsetzungsanträge, also solche Fälle, bei denen es um Geld geht, das der Staat den Anwälten zu zahlen hat, verschwinden nach Meinung vieler Advokaten immer wieder in einer Endloszeitschleife.

Wer die Akten hinter der Deckenverkleidung des Sitzungssaales versteckt hat, ist noch unklar. Schlau war die Idee jedenfalls nicht, denn wie das mit der Gerechtigkeit so ist, verschafft diese sich immer irgendwann Gehör. Es kann nur ziemlich lange dauern. Während die Anwälte nun wieder Hoffnung haben, dass ihre Kostenanträge vielleicht doch noch bearbeitet werden, hat der Bauherr die Staatsanwaltschaft beauftragt, in dem Fall der verborgenen Aktenleichen zu ermitteln. Das kann aber ebenfalls noch dauern, denn die Staatsanwaltschaft leidet derzeit an einem Heizungsausfall. In der vergangenen Frostperiode sollen etliche Strafverfolger an ihren Schreibtischen festgefroren sein, wird gemunkelt. Derzeit wartet man darauf, dass sie wieder auftauen.

Da die Strafverfolger allerdings im dritten Stock sitzen, könnte auch dies zu neuen Problemen führen. Bausachverständige warnen vor Schmelzwasser der auftauenden Staatsanwälte. Und Wasser fließt bekanntlich nach unten, wo dann neue Deckenabstürze die Folge sein könnten. »Dumm gelaufen«, meint dazu ein Vertreter des Bauherren. »Wir hatten leider nur Schwitzwasser durch fleißige Arbeit eingeplant und deshalb die Staatsanwälte ganz oben platziert. Von denen war am wenigsten zu erwarten, dass sie ins Schwitzen kommen.«

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Justizneubau

JUSTIZ ERPROBT NEUES LANDGERICHT

„Ja ist denn schon wieder Fassenacht“, fragte sich mancher Zeitungsleser infolge Berichten über die Weitergabe eines überdimensionalen Schlüssels. Es handelte sich aber nur um die symbolische Übergabe des Justizneubaus an Landgerichtspräsident Tobias Eisert. Der informierte die Zuschauer – wie schon häufiger – in metaphorischen Worten: „Das alte Landgericht war wie ein Nachkriegskäfer. Im Vergleich dazu fliegen wir mit dem neuen Gebäude ein Raumschiff.“

Anschließend begab sich eine ausgesuchte Runde zu einer Probesitzung in den Großen Sitzungssaal – und stellte zunächst fest, dass dieser wesentlich kleiner ist, als der alte, der im Nachkriegskäfer. Dennoch eröffnete der Vorsitzende einer Strafkammer die erste Verhandlung im neuen Gebäude. Die amtierenden Richter hatten ihre Roben für diesen Augenblick extra überbügeln lassen, der Staatsanwalt die weiße Krawatte neu aus der Reinigung geholt, der Verteidiger ließ dezent das Armani-Logo seines Anzuges aufblitzen. Nur der Angeklagte erschien mit Jogginghose, was die festliche Stimmung trübte und ihm deshalb drei Monate zusätzlich einbrachte.

Ansonsten verlief der Prozess in den üblichen Bahnen, bis ein Zeuge aufgerufen wurde, der aus einer Haftzelle vorgeführt werden musste. Bisher hatten die Vorsitzenden nur einen einzigen Knopf vor sich, um den Flurlautsprecher zu bedienen. Im neuen Raumschiff befindet sich an dieser Stelle ein komplettes Mischpult mit zahlreichen Schiebern und Reglern, was den Vorsitzenden zunächst überforderte. Nach kurzer Beratung der Kammer entschied er sich für den dritten Knopf von links und durchbrach die mittlerweile eingetretene peinliche Stille mit einem lässig ins Mikrofon gehauchten: „Beam ihn up, Scotty!“

Umgehend verdunkelte sich der Saal, Spannung kam auf, jeder wartete gespannt, kraft welch wundersamer Tricks der Häftling nun im Sitzungssaal erscheinen würde. Die Schöffen schauten gespannt zu Decke, wohl in dem Glauben, die Vorführung erfolge wie beim deus ex machina durch Abseilen von der Decke. Zuschauer hatten eher den Fußboden im Visier, wo sie eine geheime Klappe vermuteten, um den Zeugen aus dem Keller direkt in die Arena zu hieven. Jedoch: Nichts geschah.

Eine Beisitzerin begann umgehend mit dem Studium der 70seitigen Gebrauchsanleitung für das Mischpult, der Vorsitzende blätterte hektisch in einem Kommentar zur Strafprozessordnung, als ob dort die Lösung zu finden sei. Aufkommende Unruhe im Publikum unterdrückte er mühsam mit einem „Ruhe im Saal.“

Die Baujuristen unter den Ehrengästen diskutierten dennoch über den Unterschied zwischen Mängelrügen und Nachbesserungsverlangen, Gerichtspräsident Eisert beriet sich mit seinem Stellvertreter heimlich über eine Verschiebung des Gerichtsumzuges um drei Monate. Ratlosigkeit und Entsetzen machten sich breit. Als schließlich die Spannung unerträglich war, wagte sich die Protokollführerin schüchtern das Wort zu ergreifen und raunte dem Vorsitzenden in breitem Uwersteener Dialekt zu: „Eisch glaab der Knopp lor, den wo Sie gedrickt han, dat woar de Lieschd-Schalder.“