96. THESE LUTHERS IN BAD KREUZNACH GEFUNDEN
Mit der Eingemeindung von Bad Münster a. St. / Ebernburg gelangte auch eine Kiste alter Dokumente aus dem Keller der Ebernburg in den Besitz des Bad Kreuznacher Stadtarchives. Die Auswertung dieser Kiste ist mittlerweile abgeschlossen und Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann hat Erstaunliches zu vermelden. Unter den Papieren habe sich der Fetzen einer alten Handschrift befunden, am oberen Rand gezackt, wie von einer längeren Schriftrolle abgerissen. Der Text hat es in sich: „96. Wer Vorstehendes ernstlich gleubet, wolle hurtig einen Ablass erwerben, damit sein arm Seel in den Himmel springt.“
Noch ist Blum-Gabelmann vorsichtig mit Deutungen, aber die Anzeichen verdichten sich, dass es sich um den Abschluss der Thesen Luthers handelt. Unterstützung erhält die Stadtarchivarin dabei von dem Ebernburger Historiker Stefan Köhl: „Es ist belegt, dass Franz von Sickingen, der Hausherr der Ebernburg, 1521 zum Reichstag nach Worms reiste, um Luther zu treffen. Durchaus denkbar, dass der Reformator dem Reichsritter dort einige Schriften übergab.“ Damit ist allerdings noch nicht der Bezug zu den berühmten Thesen Luthers hergestellt. Dieser ergibt sich für Blum-Gabelmann erst aus zwei weiteren Aspekten. Zunächst gebe es keinen Beweis, dass Luther seine Thesen selbst an die Schlosskirche von Wittenberg nagelte. Kritische Historiker gingen davon aus, dass der Thesenanschlag in Wirklichkeit der Scherz einiger Studenten gewesen sei. Dazu passe dann, dass die 96. These offenbar vorher abgetrennt wurde. Möglicherweise seien die Thesen nur eine theoretische Arbeit Luthers gewesen, die von seinen Studenten in ihr Gegenteil verdreht wurde.
Und weiterhin führt Blum-Gabelmann aus: „Die Zahl 96 war im Mittelalter eine närrische Zahl. Sie hatte etwa die Funktion wie heutzutage ein Smiley. In der Fachwelt wird seit Jahren diskutiert, warum Luther nach der 95. These aufgehört hat. Jetzt wissen wir es.“
Vertreter der evangelischen Kirche wollen noch nicht von einer Sensation sprechen. Man müsse nun erst einmal den 500. Jahrestag des Thesenanschlags vermarkten. Dazu habe man in großen Mengen Nippes mit den 95 Thesen herstellen lassen. Mit der 96. These werde man sich erst befassen, wenn diese Lutherreliquien verkauft seien.Ähnlich pragmatisch sieht es ein Vertreter der Katholischen Kirche, der namentlich nicht genannt werden will: „Die Reformation hat uns dieses Jahr einen zusätzlichen Feiertag beschert, den wollen wir nicht gefährden. Wenn Luther sich durch seine 96. These doch noch als treuer Katholik erweist, wird er auch Verständnis dafür haben, dass jedes Wissen um diese These unterdrückt wird.“