FEUERGEFECHT IM STADTRAT
Die letzte Stadtratssitzung vor dem Jahrmarkt sollte dieser Tage eigentlich unkompliziert über die Bühne gehen. Es ging nur um ein belangloses Thema. Die Minderheitsfraktionen hatten sich allerdings gewappnet und zur Diskussion einen Juristen mitgebracht.
Der eröffnete die Debatte mit einem Frontalangriff: „Das Reichsgericht hat bereits 1929 die Fortgeltung des Preußischen ALR im linksrheinisch Gebiet bestätigt“, tönte er lautstark. Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer taumelte von dieser Breitseite getroffen sichtlich überrascht zurück und wurde von Getreuen aus dem Sitzungssaal getragen. Mit letzter Kraft erteilte sie noch Stadtrechtsdirektorin Heiderose Häußermann das Wort. Die feuerte umgehend zurück: „Wenn Sie die Entscheidung richtig gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass unter Punkt römisch 4, arabisch 17, klein c, Spiegelstrich 5 das Komma in Absatz 9, dort 5. Halbsatz, hinter dem „oder“ steht. Das widerlegt Ihre These“.
Kurze Schockstarre bei den Minderheitsfraktionen, dann parierte deren Jurist: „OVG SLH in DVBl. 78, Seite 293 links unten – das ist doch wohl eindeutig.“ Aber er traf auf eine ausnahmsweise einmal gut vorbereitete Stadtrechtsdirektorin: „Das BVerfG wird bei Holtz in MDR 92,764 unter Bezugnahme auf BGBl. I 3085 abweichend zitiert.“ Ein Argument, das der Streithelfer der Minderheit nur erwartet zu haben schien: „Das dissenting vote von Müller in EuGRZ 1994,106 ist Ihnen offenbar unbekannt. Schmidt-Knorzig hat bereits in der 27. Sitzung der 18. Sitzungsperiode des Rechtsausschusses BT nachgewiesen, dass die von Meyer in den Viertelmonatsmitteilungen zur Hahnebüchener Prozessordnung vertretene Auffassung mit dem obiter dictum in BGHZ 45, 234 kollidiert“, knallte er Häußermann an den Kopf, die mit schwerem Geschütz erwiderte. „Art. 2 der 7. IuKDG-VO zu § 19 MiZi-MonAwV derogiert eindeutig Ziff. 28 der 4. Änderung des GrTilBuG.“ Das forderte den Gegner zu folgender Erwiderung heraus: „Sie haben das Zusammenspiel der RBBau-RDGEG mit der DuR-DTWiR nicht verstanden“, konterte er unter dem Beifall der Minderheitsfraktionen.
Danach beharkten sich die beiden Kontrahenten etwa zwei Stunden lang mit Fachbegriffen von A wie Aw-Prax bis Z wie ZAkDR. Manchmal wurde es persönlich, zB. als Heiderose Häußermann ihrem Konkurrenten ein venire contra factum proprium vorwarf und dieser erwiderte, dass dolo agit qui petit quod statim redditurus est. Zwischenzeitlich war die OB vom Stadtratsarzt Meier-Schlechtgang wieder einsatzfähig gespritzt worden, stürmte in den Sitzungssaal und schritt mit einem harschen „Schluss der Debatte“ ein. Dann ließ sie kurzerhand die Ratsmitglieder aufwecken und abstimmen.
Günter Meurer erwachte als erster aus dem Tiefschlaf und ergriff das Wort für die Mehrheitsfraktionen: „Was dieser Jurist da verzapft hat, versteht kein Mensch“, verkündete er. „Die klare und verständliche Argumentation von Frau Häußermann hat mich hingegen vollkommen überzeugt. Ich hätte es nicht besser formulieren können.“
Der Jurist der Minderheit zog nach der Wahlniederlage seiner Klientel mit einer Drohung von dannen: „Die Gerechtigkeit wird siegen!“ Aber selbst darauf wusste die völlig erschöpfte Stadtrechtsdirektorin noch eine Antwort: „Wenn auf legalem Weg nichts mehr geht, nehmen wir uns notfalls einen Rechtsanwalt!“